Economix – Der Wirtschaftserklärcomic

Comic als Erklärhilfe

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Wie erklärt man ein umfangreiches, schwieriges Thema? In der Fachliteratur meistens mit einem umfangreichen, schwierig zu lesenden Buch. Am besten mit verschachtelten Sätzen, die sich vor dem entsetzen Blick des Lesers über halbe Seiten ziehen. Oder überladen mit Fachvokabular, so dass man am Ende mehr Zeit mit Nachschlagen als mit dem tatsächlichen Lesen verbracht hat. Wird das Wissen für Schule, Studium oder Beruf dringend benötigt, dann nimmt man solche Strapazen durchaus auf sich. Freizeitlektüre und Sachbücher, die man aus Interesse liest, sollten aber anders gestaltet sein.

Das fand auch der amerikanische Schriftsteller Michael Goodwin. Sein Ziel: Unterhaltsam über Wirtschaftsgeschichte und -theorie informieren und dabei aktuelle Zusammenhänge herausstellen. Er sieht Ökonomie als ein Thema, das zwar tief in das tägliche Leben hineinreicht, über das jedoch wenige wirklich Bescheid wissen – oftmals, weil es zu komplex erscheint oder weil vorhandene Fachbücher es langweilig und trocken darstellen.

Ein Wirtschaftserklärcomic klärt auf 

Goodwins Idee: Auf komplizierte mathematische Formeln verzichten und stattdessen die großen Zusammenhänge aufzeigen. Und das Ganze „in der am leichtesten zugänglichen Form“, die ihm bekannt sei – als Comic. Dazu holte er sich den Illustrator Dan E. Burr ins Boot und schuf mit ihm zusammen fast 300 Seiten Text und Bilder. Unter dem Titel: „Economix. Wie unsere Wirtschaft funktioniert (oder auch nicht)“ erschien das Buch 2013 in Deutschland. Angefangen beim Merkantilismus des 17. Jahrhunderts bis zu den heutigen Ausprägungen der Markwirtschaft schildert es die Geschichte der Ökonomie. Dabei erklärt Goodwin sowohl die Grenzen bekannter Marktmodelle als auch die Finanzkrise 2008 oder Probleme mit Obamas Krankenversicherungsreform. Abgerundet wird diese Darstellung durch ein praktisches Glossar und ein Stichwortverzeichnis, mit dessen Hilfe man zu Schlagwörtern wie „Skaleneffekte“, „Antizyklische Maßnahmen“ und „Komparativer Kostenvorteil“ gleich die passende Comicseite findet.

Der Schwerpunkt der Erläuterungen liegt klar auf den USA, immerhin dem Land, das der Autor am besten kennt und das nach wie vor eine der größten Wirtschaftsmächte der Welt ist. Vor allem über die Politik diverser US-Präsidenten, das Zentralbanksystem und die Macht der Wall Street lernt man viel. Ergänzende Informationen erhält der Leser durch Anmerkungen des Übersetzers Edmund Jacoby, der immer wieder auf Ähnlichkeiten und Unterschiede zu europäischen Systemen hinweist.

Einprägsame Erklärungen und humorvolle Illustrationen

Und wie steht es nun mit der Lesbarkeit von „Economix“? Zumeist sehr gut. Ob anhand von selbst gewählten Beispielen oder Diagrammen, seine Erklärungen von Wirtschaftsprinzipien sind anschaulich und schaffen immer wieder einen Aha-Effekt. Die schwierigste Kost sind allemal die Originalzitate berühmter Denker, die er gelegentlich einstreut.

Fast schon im Plauderton schildert Goodwin, wie ein Handelsdefizit entsteht und wie das Aufkommen des Internets die Märkte beeinflusste. Dabei lässt er immer wieder Menschen zu Wort kommen: Bürger, Politiker, Konzernchefs, Wirtschaftsberater und Aktienspekulanten bevölkern die Comicseiten.

Lebendig werden diese Figuren durch die liebevoll gestalteten Schwarz-Weiß-Bilder des mehrfach prämierten Illustrators Dan E. Bur. Er zeichnet glückliche Familien, Arbeitslose mit zerschlissener Kleidung, wohlhabende Firmenbesitzer mit runden Gesichtern und würdevolle Finanzexperten im Nadelstreifenanzug. Dabei karikiert er gerne: Sklavenhändler geifern und haben Hasenzähne, Großunternehmer erkennt man an Zylinder, Geldsack und Zigarre und Investitionen werden mit dem Feuerwehrschlauch verteilt. Diesen Stil muss man sicherlich mögen, um den Comic gut zu finden. Dann aber entdeckt man in seinen Darstellungen viel Grund zum Schmunzeln.

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Das Thema „Vollbeschäftigung“ (Aus ECONOMIX Seite 143 © GoodwinBur, auf Deutsch erschienen beim Verlagshaus Jacoby & Stuart GmbH, www.jacobystuart.de)

Enthusiastisches Vorwort von Rudolf Hickel

Goodwins Idee, einen Comic zu gestalten, stieß auf große Resonanz: In den USA schaffte er es im Erscheinungsjahr 2012 auf Platz 5 der New York Times-Bestsellerliste, in Europa berichteten selbst große Zeitungen wie Le Monde und die Süddeutsche. Auch die Verkaufszahlen sind anscheinend recht ordentlich, denn die deutschsprachige Version ist mittlerweile in der fünften Auflage erhältlich – mit einem enthusiastischen Vorwort des Wirtschaftswissenschaftlers Rudolf Hickel. „Die hier klug ausgeschöpften Möglichkeiten einer Darstellung in Text und Illustration provozieren sicherlich die bierernste Lehrbuch-Ökonomik im deutschsprachigen Raum“, schreibt er. „Die Aufklärungsleistung ist einfach brillant. Davon kann die traditionelle, ätzend langweilige und auf Paukwissen reduzierte Lehrbuchökonomik nur lernen.“

Kritik am Kapitalismus

Trotz allen Lobes: Kann der Comic ein so weitreichendes Thema wie Wirtschaft in nur dreihundert Seiten abdecken? Nein, das kann er nicht. Und das ist auch nicht Goodwins Ziel. Sein Buch ist eher als Übersicht zu verstehen und soll den Leser dazu bringen, sich selbst weiter zu informieren. Das merkt man vor allem in der modernen Geschichte, wenn er komplexe Themen wie den Nationalsozialismus oder die Entwicklung der indischen Wirtschaft seit 1957 mit jeweils einer Doppelseite abhandelt.

Und auf noch etwas weist der Autor zur eigenen Absicherung mehrfach hin: Seine Erläuterungen sind von persönlichen Blickwinkel geprägt. Spätestens ab Mitte des 20. Jahrhunderts bezieht er deutlich Position und übt scharfe Kritik an der Wall Street, den engen Verflechtungen von Politik und Wirtschaft (Stichwort: Finanzierung von Wahlkampagnen) und einem – seiner Meinung nach – entfesseltem Kapitalismus. Er wendet sich gegen das Zerschlagen von Firmen für den schnellen Profit, erzählt von teilweise wahnwitzigen Aktienspekulationen, wie sie etwa zur Immobilienblase 2008 geführt haben, von Briefkastenfirmen auf den Cayman Inseln und von menschenverachtenden Arbeitsbedingungen in den Sweat Shops der Dritten Welt.

Somit scheint das Buch geradewegs einem deprimierenden Schluss entgegen zu laufen. Aber das ist dann doch nicht Goodwins Absicht. Stattdessen fordert er den Leser auf, sich weiter zu informieren und selbst aktiv zu werden, wenn er etwas an den Zuständen ändern will.

Mit dem Buchprojekt war es für den Schriftsteller übrigens nicht vorbei: Auf der Seite http://economixcomix.com/ veröffentlicht er weiterhin Comics zu aktuellen Themen wie Sozialversicherungen, Netzneutralität oder TTIP – stets unterstützt von Dan Burr und mit einem Aufruf zum Handeln.

von: F. Stephan Auch

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